Vincent Lambert liegt seit 2008 im Wachkoma. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat vergangene Woche entschieden, dass die lebenserhaltenden Maßnahmen gestoppt werden durften. Die entsprechende Entscheidung des obersten französischen Verwaltungsgerichts verstoße nicht gegen das Recht auf Leben. Allerdings fiel das Votum nicht einstimmig aus: Fünf der siebzehn Richter stellten sich in einem ungewöhnlich scharfen Sondervotum deutlich gegen die Mehrheit.
Wachkoma nach Motorradunfall
Vincent Lambert erlitt 2008 aufgrund eines Motorradunfalls schwere Hirnverletzungen. Seitdem lag der damals 32-Jährige im Wachkoma. Er wurde künstlich ernährt, konnte jedoch noch selbstständig atmen. Das Pflegepersonal kam zu der Auffassung, Lambert würde sich den Pflegemaßnahmen zunehmend widersetzen. Daraufhin entschied der behandelnde Arzt, die künstliche Ernährung einzustellen. Ein französisches Gesetz erlaubte dies unter bestimmten Bedingungen.
Eltern wehren sich
Die Ehefrau und sechs von acht Geschwistern unterstützten den Arzt. Nachdem die künstliche Ernährung eingestellt worden war, entspann sich jedoch ein Streit vor den Gerichten. Dieser wurde von den Eltern Lamberts angefacht, die mit der Maßnahme nicht einverstanden waren.
Im vergangenen Jahr entschied das oberste französische Verwaltungsgericht, dass der Abbruch der künstlichen Ernährung rechtmäßig gewesen sei. Daraufhin wandten sich die Eltern Lamberts an den EGMR und beklagten, der Behandlungsabbruch verletze das Recht auf Leben aus Art. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK).
EGMR: Staaten haben weiten Gestaltungsspielraum
Die Straßburger Richter folgten dem Antrag der Eltern jedoch nicht. Die Mehrheit entschied: Die Gesetzgeber in Europa haben bei der Regelung von passiver Sterbehilfe einen weiten Spielraum. Die Staaten können nicht nur das Ob der Sterbehilfe regeln, sondern auch, wie sie das Selbstbestimmungsrecht von Patienten austarieren.
Das französische Gesetz genüge den Anforderungen der EMRK. Es erlaube die Einstellung medizinischer Maßnahmen nur dann, wenn diese „unnötig oder unverhältnismäßig erscheinen oder als einziges Ziel die künstliche Lebenserhaltung haben“. Es fordert eine „obstination déraisonnable“, also ein unzumutbares Beharren auf einer unnötigen, unverhältnismäßigen oder einzig der künstlichen Lebensverlängerung dienenden Maßnahme. Außerdem müssen medizinischen Indikatoren vorliegen, etwa das Leiden des Patienten sowie die Irreversibilität der Erkrankung. Und der der Patientenwillen ist zu berücksichtigen – und zwar unabhängig davon, ob sich dieser explizit geäußert hat oder nicht. Das zusammengenommen reiche aus, so die Richter.
Sieben Mediziner und Familie
Im konkreten Fall hatte der Arzt sogar insgesamt sechs weitere Mediziner hinzugezogen. Diese waren nahezu einhellig zu dem Ergebnis gekommen, die künstliche Ernährung einzustellen. Außerdem hatte der Arzt wiederholt die Familienangehörigen versammelt, um zu ermitteln, was Vincent Lambert, da dieser weder eine Patientenverfügung verfasst noch eine Vertrauensperson bestimmt hatte, selbst gewollt hätte.
Update (23.7.2015): Wie die Süddeutsche Zeitung hier berichtet, haben die Eltern nicht nur Ehefrau Rachel wegen falscher Zeugenaussage verklagt, sondern auch das Krankenhaus und die behandelnden Ärzte (wegen „falscher Behandlung“ und „versuchten Mordes“).
Referenz: Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrecht vom 5.6.2015, Beschwerdenummer 46043/14