Krankenhaus haftet, wenn demente Patientin aus dem Fenster springt

RA Thorsten Siefarth - LogoNoch in der ersten Instanz wurden Schadensersatzansprüche abgelehnt. Das Oberlandesgericht Hamm hob das Urteil jedoch auf und sprach 93.000 Euro zu. Es ging um eine demente Patientin, die aus dem ungesicherten Fenster ihres Krankenzimmers entweichen wollte und dabei in die Tiefe stürzte.



Unruhige Patientin

Die damals 82jährige demente Patientin wurde im Januar 2011 aufgrund eines Schwächeanfalls stationär in das Krankenhaus der Beklagten eingewiesen. Am Aufnahmetag gab sie sich unruhig, aggressiv, verwirrt und desorientiert. Sie zeigte Weglauftendenzen und wollte die Station verlassen. Mit verabreichten Neuroleptika konnte die Patientin nicht ruhig gestellt werden. Um sie am Weglaufen zu hindern, verstellten Krankenschwestern der Beklagten deswegen u.a. die Tür des Krankenzimmers der Patientin von außen mit einem Krankenbett.

Sturz in die Tiefe

Am späten Abend des dritten Behandlungstages kletterte die Patientin unbemerkt aus dem Zimmerfenster und stürzte auf ein ca. fünf Meter tiefer liegendes Vordach. Sie erlitt erhebliche Verletzungen, unter anderem Rippenfrakturen, zudem eine Lendenwirbel-, eine Oberschenkel- und eine Beckenringfraktur.

Die Verletzungen wurden in einer anderen Klinik operativ versorgt. Von dort aus kam die Patientin in ein Pflegeheim, in dem sie später verstarb. Für die unfallbedingte Heilbehandlung und ein Krankenhaustagegeld wandte die klagende Krankenversicherung ca. 93.300 Euro auf, die sie von dem Krankenhaus unter Hinweis auf – nach Ansicht der Klägerin – unzureichende Sicherungsmaßnahmen ersetzt verlangt.

Fürsorgepflicht verletzt

Die Klage war in zweiter Instanz erfolgreich. Das Oberlandesgericht Hamm hat der Klägerin den geltend gemachten Schadensersatz aufgrund übergegangener Schadensersatzansprüche der Patientin zugesprochen. Die Beklagte habe, so der Senat, gegen ihre vertraglichen Fürsorgepflichten und gegen die ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht verstoßen. Sie habe die Patientin im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren, soweit der körperliche und geistige Zustand der Patientin dies erfordert habe, vor Schäden und Gefahren schützen müssen. Dieser Verpflichtung sei die Beklagte nicht gerecht geworden.

Unberechenbares Verhalten

Ausweislich der Dokumentation der Beklagten sei das Verhalten der Patientin auch am Unfalltage unberechenbar gewesen, u.a. habe sie auch an dem Tage aus dem Zimmer flüchten wollen. Der vom Gericht angehörte medizinische Sachverständige habe ebenfalls bestätigt, dass Patienten mit einem derartigen Krankheitsbild praktisch alles machen würden und in ihrem Verhalten unberechenbar seien.

Keine Vorkehrungen getroffen

Bei dieser Ausgangslage habe das Personal der Beklagten auch ein Fluchtversuch durch das Fenster des Krankenzimmers in Betracht ziehen müssen. Dieses Fenster sei für die Patientin über einen der davorstehenden Tisch und ein Stuhl zu erreichen und über einen nicht verschließbaren Fenstergriff zu öffnen gewesen. Die Beklagte habe das Öffnen dieses Fensters durch die Patientin verhindern oder diese in ein ebenerdig gelegenes Krankenzimmer verlegen müssen.

Die notwendigen Vorkehrungen gegen ein Hinaussteigen der Patientin aus dem Fenster des Krankenzimmers seien der Beklagten möglich und zumutbar gewesen. Das pflichtwidrige Unterlassen dieser Maßnahme begründe ihre Haftung.

Referenz: Urteil des Oberlandesgerichts Hamm vom 17.01.2017, Az. 26 U 30/16 (rechtskräftig)

Quelle: Pressemitteilung des Oberlandesgerichts Hamm vom 19.4.2017

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