Patientenverfügung schützt nicht immer vor Zwangsbehandlung 17. Januar 202017. Januar 2020RA Thorsten Siefarth Eine Gemeinde in Niedersachsen hatte einen Mann zwangsweise unterbringen lassen, inklusive Zwangsmedikation. Das zuständige Amtsgericht hatte das genehmigt. Der Betroffene berief sich jedoch auf eine Patientenverfügung und legte Beschwerde beim Landgericht Osnabrück ein. In der Patientenverfügung hieß es u.a., er lehne „jede Zwangsbehandlung egal mit welchen als Medikamenten bezeichneten Stoffen“ ab. Außerdem sei die „Unterbringung in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung strikt und verbindlich und unter allen Umständen zu unterbinden.“ „Sexuell enthemmtes Verhalten“ Die Gemeinde verwies darauf, dass die betroffene Person sexuell enthemmtes und aggressives Verhalten gegenüber Dritten zeige. Dem könne nur durch die Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung und eine medikamentöse Behandlung begegnet werden. Zudem sei die betroffene Person aufgrund einer potentiell lebensbedrohlichen körperlichen Erkrankung auf die Einnahme weiterer Medikamente angewiesen. Die betroffene Person verweigere jedoch jede Behandlung, weil sie aufgrund der psychischen Erkrankung die Lage nicht erfassen könne. Patientenverfügung nicht berührt Das Landgericht Osnabrück gab der Gemeinde Recht und hielt die Entscheidung des Amtsgerichts aufrecht. Zum einen sei die Patientenverfügung an sich gar nicht berührt. Denn diese richtete sich vor allem gegen psychiatrische Zwangsbehandlungen. Hier ging es aber um eine Zwangsbehandlung wegen körperlicher Beschwerden. Schutz der Allgemeinheit überwiegt Entscheidend war darüber hinaus aber, dass nach Ansicht des Gerichts Zwangsbehandlungen insbesondere dann angeordnet werden können, wenn dies jedenfalls auch dem Schutz der Allgemeinheit dient. Zunächst einmal komme es zwar auf das Selbstbestimmungsrecht des einzelnen an. Sowohl im Bürgerlichen Gesetzbuch als auch im Niedersächsischen Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke sei deswegen festgelegt, dass eine Patientenverfügung von Ärzten und staatlichen Stellen zu beachten sei. Zu den allgemeinen Grundsätzen der Rechtsordnung gehöre es aber ebenso, dass das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen seine Grenze in den Rechten Dritter finde. Eine Patientenverfügung könne daher eine zwangsweise Behandlung dann nicht verhindern, wenn sie dem Schutz der Allgemeinheit, d.h. anderer Bürgerinnen und Bürger, diene. Stelle jemand aufgrund seiner Erkrankung eine Gefahr für Dritte dar, müsse das berechtigte Interesse der Allgemeinheit, notfalls eine Behandlung mit Zwangsmaßnahmen durchzusetzen zu können, sich gegen das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen durchsetzen. Diese Voraussetzungen sah das Gericht im konkreten Fall als gegeben an, weil der Betroffene sexuell enthemmtes und aggressives Verhalten gegenüber Dritten zeigte. Unterbringung und Medikation dienen der Verbesserung Darüber hinaus sei zu bedenken, dass die zwangsweise medikamentöse Behandlung samt Unterbringung in diesem Fall dazu diene, den Zustand der betroffenen Person zu verbessern und sie in die Lage zu versetzen, wieder ein eigenständiges Leben zu führen. Dies diene gerade dazu, die zum Schutz der Allgemeinheit nötige Unterbringung möglichst kurz zu halten. Entscheidung noch nicht rechtskräftig Die Entscheidung des Landgerichts Osnabrück ist nicht rechtskräftig. Das Gericht hat bezüglich der Frage, ob eine Patientenverfügung der Anordnung einer Zwangsbehandlung aufgrund einer drohenden Gefährdung Dritter entgegenstehen kann, die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof zugelassen. Referenz: Beschluss des Landgerichts Osnabrück vom 10. Januar 2020, Az. 4 T 8/20 – 4 T 10/20 Quelle: Pressemitteilung des Landgerichts Osnabrück vom 15. Januar 2020 Das könnte Sie auch interessieren: „Ambulante Zwangsbehandlung“: Experten bei Anhörung zwiespältig Verbraucherzentrale testet Online-Patientenverfügung: Teurer ist nicht immer besser Zwangsbehandlung: Attest reicht nicht, Gutachter notwendig!