Arzt und Betreuer sind sich aufgrund einer Patientenverfügung einig: Eine 75-jährige Frau will die Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen. Doch die Tochter der Patientin sieht das anders und wendet sich an das Betreuungsgericht. Dieses weist die Tochter allerdings mit einem einfachen Schreiben ab. Daraufhin wendet sie sich an das nordrhein-westfälische Verfassungsgericht – wenige Stunden vor dem geplanten Abschalten der Maschinen. Das Gericht entscheidet schnell: Die Klinik muss die lebenserhaltenden Maßnahmen fortführen.
Ein Antrag auf einstweilige Anordnung vor einem Landes-Verfassungsgericht ist dann erfolgreich, wenn eine Verfassungsbeschwerde zulässig und offensichtlich begründet wäre. Die Zulässigkeit lag vor. Interessanter war die offensichtliche Begründetheit.
Arzt und Betreuer ermitteln den Patientenwillen
Rechtlicher Hintergrund für den hiesigen Fall ist die sogenannte Konsenslösung: Der Betreuer muss den Willen der betreuten Person ermitteln, zum Beispiel aufgrund einer Patientenverfügung. Wenn der Patient darin lebensverlängernde Maßnahmen ablehnt, so muss der Betreuer diese Entscheidung mit dem Arzt besprechen. Sind sich Arzt und Betreuer über den Willen des Patienten einig, so kann die Maßnahme dementsprechend durchgeführt werden. Und zwar ohne Einschaltung des Betreuungsgerichts. Legt der Arzt hingegen ein Veto ein, dann verhindert das den Konsens. Nun muss das Betreuungsgericht entscheiden (§ 1829 Abs. 4 BGB).
Auch Angehörige können sich an das Betreuungsgericht wenden
An sich sind bei diesem gesetzlich vorgesehenen Verfahren nur die behandelnden Ärzte und der Betreuer beteiligt. Angehörige sollen lediglich angehört werden. Wenn diese jedoch Zweifel an der Vorgehensweise von Ärzten und Betreuern haben, dann können auch sie sich an das Betreuungsgericht wenden. Das hat in dem Fall vor dem nordrhein-westfälischen Verfassungsgericht die Tochter der 75-jährigen Frau getan.
Betreuungsgericht hätte entscheiden müssen
Auch bei einer Eingabe von Außenstehenden, insbesondere von Angehörigen, muss das Gericht dem jeweiligen Anliegen gewissenhaft nachgehen. Das ist in dem Fall aus Nordrhein-Westfalen aber schief gegangen. Das Gericht hätte eine förmliche, rechtsmittelfähige Entscheidung fassen müssen. Diese hätte auch darin bestehen können, dass das Gericht es ablehnt, eine Entscheidung zu treffen (Negativattest). Über die Genehmigungsbedürftigkeit oder die Ablehnung einer Genehmigung wurde jedoch nicht entschieden.
Kontrolle des Betreuers war notwendig
Damit hat das Betreuungsgericht den verfassungsrechtlich verankerten Justizgewährungsanspruch der Tochter verletzt. Das Betreuungsgericht hätte nicht nur mit einem simplen Schreiben auf die Eingabe der Tochter reagieren dürfen. Es bedarf einer ordnungsgemäßen betreuungsgerichtlichen Kontrolle der Entscheidung des Betreuers.
Noch dazu, weil durchaus Zweifel daran bestanden, ob Arzt und Betreuer die Patientenverfügung richtig ausgelegt hatten: Lag tatsächlich eine Situation vor, in der alle diagnostischen Möglichkeiten vollständig ausgeschöpft waren? Die Tochter hatte dazu immerhin einige Ausführungen gemacht.
Fazit
Der Antrag der Tochter auf eine einstweilige Anordnung hatte Erfolg. Denn eine Verfassungsbeschwerde der Tochter wäre offensichtlich begründet gewesen. Deswegen erließ das nordrhein-westfälische Verfassungsgericht den entsprechenden Beschluss: Der Klinik wurde vorläufig aufgegeben, das Abstellen lebenserhaltender Maßnahmen für die 75-jährige Patientin zu unterlassen. Und zwar so lange, bis die Betreuungsgerichte rechtskräftig über die Eingabe der Tochter entschieden haben.