Die Frontzähne sollten saniert werden. Der Zahnarzt begann jedoch – auf Wunsch der Patientin – zu früh mit der Ziehung der vorderen Zähne. Damit hat er sich schadensersatzpflichtig gemacht und muss die Behandlungskosten zurückzahlen. Das Oberlandesgericht Hamm hat das in zweiter Instanz bestätigt. Verlange ein Patient eine Behandlung, die gegen medizinischen Standard verstößt, so müsse ein Arzt diese ablehnen. Auch eine eingehende ärztliche Aufklärung über die möglichen Behandlungsfolgen legitimiere kein behandlungsfehlerhaftes Vorgehen.
Zahnarzt empfiehlt zunächst eine Aufbissschiene
Die heute fünfzigjährige Klägerin aus Herne ließ sich von Ende des Jahres 2008 bis Anfang des Jahres 2010 vom beklagten Zahnarzt behandeln. Sie war mit einer durch einen anderen Zahnarzt eingegliederten Krone im Seitenzahnbereich unzufrieden und äußerte den Wunsch nach einer Sanierung ihrer Frontzähne.
Der beklagte Zahnarzt stellte in ihrer Funktion gestörte Kiefergelenke, eine CMD (craniomandibuläre Dysfunktion), fest. Diese wollte er zunächst mit einer Aufbissschiene therapieren, sodann die Seitenzähne stabilisieren, um erst dann mit der Sanierung der Frontzähne zu beginnen. Auf Wunsch der Klägerin begann er dann jedoch vorzeitig mit der Frontzahnsanierung. Infolge der Behandlung stellten sich bei der Klägerin eine zu niedrige Bisshöhe und eine Kompression der Kiefergelenke ein.
Landgericht gibt der Klage statt
Wegen der nach ihrer Auffassung fehlerhaften zahnärztlichen Behandlung hat die Klägerin vom Beklagten Schadensersatz verlangt, unter anderem 25.000 Euro Schmerzensgeld, ca. 17.300 Euro Haushaltsführungsschaden sowie die Rückzahlung des an den Beklagten geleisteten Zahnarzthonorars von ca. 3.750 Euro.
Das Landgericht hat der Klage dem Grunde nach stattgegeben, die Ersatzpflicht des Beklagten für weitere Schäden festgestellt und ihn zur Rückzahlung des Zahnarzthonorars verurteilt. Die Ermittlung der konkreten Schadenshöhe hat das Landgericht dem – noch durchzuführenden – Betragsverfahren vorbehalten.
Medizinischer Standard ist Maß der Dinge
Die Berufung des Beklagten gegen das landgerichtliche Urteil ist erfolglos geblieben. Der von einem zahnmedizinischen Sachverständigen beratene 26. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm hat die vom Landgericht dem Grunde nach festgestellte Schadensersatzpflicht des Beklagten bestätigt. Die Klägerin habe, so der Senat, unter einer CMD geglitten. Diese habe der Beklagte zunächst auch fachgerecht therapieren wollen. Hiervon habe er sich aber abbringen lassen und die notwendige Schienentherapie nicht im erforderlichen Umfang durchgeführt. Die endgültige Frontzahnsanierung habe er behandlungsfehlerhaft zu früh begonnen. Hierdurch sei die Bisshöhe falsch festgelegt worden, es habe sich eine Kompression der Kiefergelenke eingestellt, die durch die weitere Behandlung nicht beseitigt worden sei.
In diesem Zusammenhang könne sich der Beklagte nicht darauf berufen, dass die Klägerin ein Vorziehen der Frontzahnsanierung ausdrücklich verlangt habe. Selbst wenn man ein solches Verlangen unterstelle, verstoße die gewünschte Behandlung gegen den medizinischen Standard und habe vom Beklagten abgelehnt werden müssen. Auch eine eingehende ärztliche Belehrung über die möglichen Behandlungsfolgen legitimiere kein behandlungsfehlerhaftes Vorgehen. Im Übrigen habe der Beklagte auch nicht hinreichend dargelegt, die Klägerin eindringlich auf die dauerhaften Beeinträchtigungen und Auswirkungen einer perpetuierten CMD hingewiesen zu haben.
Die Klägerin habe zudem Anspruch auf Rückzahlung des geleisteten Zahnarzthonorars. Die Leistung des Beklagten sei insgesamt unbrauchbar gewesen und könne bei der künftigen zahnärztlichen Behandlung der Klägerin keine Verwendung finden.
Referenz: Urteil des Oberlandesgerichts Hamm vom 26.4.2016, Az. 26 U 116/14
Quelle: Pressemitteilung des Oberlandesgerichts Hamm vom 27.6.2016