Bis zum 1.1.2017 wurde bei der Pflegeeinstufung mitunter sehr heftig mit den Pflegekassen um Minuten gestritten. Denn es war der zeitliche Bedarf für Hilfestellungen zu ermitteln. Hier beispielhaft der Auszug aus einem Urteil. Es geht um die Hilfe, die eine Pflegebedürftige bei der Begleitung durch ihren Ehemann zum Arzt benötigt. Heutzutage ist das Problem beseitigt: Die neuen Pflegegrade werden nicht mehr über Zeitkorridore bestimmt. In etlichen Altfällen hingegen wird weiterhin sehr fleißig gerechnet …
Auszug aus dem Urteil des Hessischen Landessozialgericht vom 28.9.2011 (Az. L 8 P 38/10):
Zusätzlich zu diesem Pflegebedarf ist jedoch auch ein Hilfebedarf bei der Begleitung zu den Therapien, Krankengymnastik und Lymphdrainage, sowie die Wartezeit zu berücksichtigen. […] Nach dem von der Beklagten vorgelegten Routenplaner beträgt die Fahrzeit zur Praxis G. 7 Minuten. Nach Ansicht der Kammer ist die Fahrtstrecke von der Wohnung bis zur Praxis G. jedoch nicht in einer Zeit von 7 Minuten zu bewältigen. Es handelt sich um eine Landstraße, die häufig von LKW’s und landwirtschaftlichen Fahrzeugen befahren wird. Außerdem erhält die Klägerin in der Klinik in F-Stadt an einem Termin neben Krankengymnastik auch noch Lymphdrainage. Die Krankengymnastik und Lymphdrainage wird in F-Stadt an einem Tag durchgeführt. Ob dies in der Praxis G. möglich ist, ist fraglich, so dass zusätzlich Wegezeiten für einen dritten Behandlungstag berücksichtigt werden müssten.
Aber auch die Wartezeit ist vorliegend zu berücksichtigen. Nach den Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen […] sind zu den Fahrzeiten bei den Therapien die zwangsläufig anfallenden Warte- und Begleitzeiten der Begleitperson anzurechnen, wenn sie dadurch zeitlich und örtlich gebunden ist. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der sich die Kammer anschließt, Az. B 3 P 17/97 R, ist für die Bemessung des zeitlichen Umfangs des Pflegebedarfs von der zeitlichen und örtlichen Gebundenheit der Pflegeperson auszugehen; d. h. maßgebend ist die Zeit, die die Pflegeperson ausschließlich für die Abwicklung einer Hilfeleistung benötigt und während der sie keiner anderen Tätigkeit – etwa auch keiner solchen im Bereich der allgemeinen Haushaltsführung – nachgehen kann. Deshalb zählt eine zwangsläufig anfallende Wartezeit, während der der Pflegebedürftige vom Arzt untersucht wird oder sich ärztlich angeordneten Maßnahmen in einer Arztpraxis unterzieht, zum berücksichtigungsfähigen Bedarf, da die Pflegeperson während dieser Zeit im Allgemeinen keiner Tätigkeit nachgehen kann, der sie sich widmen würde, wenn die Notwendigkeit der Hilfeleistung nicht bestünde.
Vorliegend ist nach Ansicht der Kammer die Wartezeit zu berücksichtigen, da die Klägerin zum einen Begleitung zu den Therapien benötigt und zum anderen ihr Ehemann keiner anderen Tätigkeit nachgehen kann. Der Ehemann der Klägerin ist nicht darauf verweisbar, dass er in dieser Zeit die Einkäufe durchführen könne, wie die Beklagte meint. Zum einen ist das Einkaufen mehrmals wöchentlich nicht erforderlich, zum anderen ergeben sich gerade im ländlichen Bereich nicht immer Einkaufsmöglichkeiten und dem Versicherten kann sicher nicht vorgeschrieben werden, wo er seine Einkäufe tätigen muss, da dem Versicherten Gelegenheit gegeben werden muss, günstige Angebote oder besonders günstige Einkaufsquellen auszuwählen. Dem Ehemann der Klägerin ist auch nicht zumutbar, während der Therapien nach Hause zu fahren, da er nur wenige Minuten zu Hause wäre. Es ist auch nicht erkennbar, dass der Ehemann der Klägerin die Wartezeiten für eigenwirtschaftliche Tätigkeiten nutzen könnte. Die Beklagte will den Ehemann der Klägerin auf das Lesen von Büchern und Zeitschriften als eigenwirtschaftliche Tätigkeit verweisen. Die Klägerin hat angegeben, dass ihr Mann weder Bücher noch Zeitschriften lesen würde, so dass die Wartezeit anzurechnen ist, da der Ehemann der Klägerin nicht auf die Freizeitbeschäftigung Lesen verweisbar ist.